Wenn das Bett nicht mehr nur Schutz ist, sondern das Leben schluckt
- Kilian Benno Moll
- 3. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Apr.

Gedanken zu einem stillen Phänomen, das viele nicht verstehen – und doch so viele betrifft. Es beginnt oft ganz leise. Ein paar Stunden länger im Bett bleiben. Nicht, weil man krank ist – sondern weil es draußen einfach zu viel ist.
Ein paar Stunden mit Kopfhörern unter der Decke, das Handy ganz nah, der Blick auf den Bildschirm gerichtet, der einem zeigt, was draußen alles passiert, ohne dass man selbst mitmacht. Erst ist es ein Entkommen. Dann eine Gewohnheit. Und irgendwann ist es der einzige Ort, an dem man sich noch sicher fühlt.
Ich schreibe das nicht aus Sorge. Nicht aus Urteil. Sondern aus Beobachtung. Weil ich immer wieder jungen Menschen begegne – Töchter, Söhne, Auszubildende, stille Enkelkinder – die sich zurückziehen. Nicht für einen Moment, nicht für eine Pause. Sondern auf unbestimmte Zeit.
Das Phänomen hat einen Namen – aber keine Lösung.
"Bed Rotting" heißt es in den sozialen Medien. Wörtlich übersetzt: im Bett verrotten.
Ein Begriff, der fast zynisch klingt. Entstanden aus einer Generation heraus, die gelernt hat, alles zu benennen, alles zu teilen, alles zu inszenieren – auch den eigenen Rückzug. Auf TikTok wird Bed Rotting als Trend beschrieben. Junge Menschen zeigen sich in bequemen Outfits, umgeben von Kissen, Snacks und Bildschirmen, und schreiben darunter Dinge wie:
„Heute wieder Bed Rotting. Ich verdiene das.“ „Zu müde für die Welt. #selfcare“
Was als Reaktion auf Burnout, Druck, Erschöpfung gedacht war – als kleines Nein zum Funktionieren – ist bei vielen zur Dauerschleife geworden.
Aber was passiert wirklich in diesem Bett?
Wer hinsieht, merkt schnell:
Das ist nicht Faulheit.
Das ist auch kein Lifestyle.
Das ist ein emotionaler Schutzraum – ein Ort, an dem niemand etwas verlangt. Keine Bewertung. Kein Streit. Keine Schule, kein Job, keine Erwartungen.
Das Bett wird zur Burg. Zur Höhle. Zum Kokon. Ein Ort, an dem ich nicht erklären muss, wie es mir geht. Wo mich niemand auffordert, besser zu werden, stärker, produktiver. Und doch passiert genau da etwas Paradoxes: Dieser Ort, der so sicher erscheint, beginnt einen still zu lähmen.
Die Gedanken werden schwer. Die Tage verschwimmen. Der Körper verliert Energie, obwohl er sich doch erholen soll. Und man steht nur noch auf, wenn man wirklich muss – essen, Toilette, ein kurzes Gespräch. Und dann wieder zurück.
Zwischen Flucht und Erschöpfung – was Bed Rotting uns zeigt
Ich glaube, das Phänomen ist ein Spiegel. Ein stiller, ehrlicher Spiegel unserer Zeit. Einer Zeit, in der Selbstoptimierung zur Norm geworden ist. Einer Zeit, in der wir jungen Menschen alles mitgeben wollen – Wissen, Chancen, digitale Fähigkeiten – aber ihnen selten beibringen, wie man mit Schmerz, Druck oder Sinnlosigkeit umgeht.
Viele, die ich erlebe, wissen unglaublich viel. Sie kennen Begriffe wie „toxisch“, „Trigger“, „Mental Load“. Sie wissen, wie man Dinge benennt. Aber sie wissen oft nicht, wie man damit lebt.
Bed Rotting ist dann keine Pause mehr. Sondern ein Zustand, in dem man innerlich verschwindet. Ein unsichtbares Ich bin überfordert, aber ich will niemanden belasten. Ein stummes Ich brauche Halt, aber weiß nicht, wie ich danach frage.
Was die Forschung dazu sagt
Eine Studie der University of Michigan (2023) hat sich erstmals intensiver mit dem Phänomen beschäftigt. In der Untersuchung mit über 1.800 jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren wurde deutlich: Mehr als 60 % verbringen regelmäßig mehrere Stunden täglich im Bett – nicht zum Schlafen, sondern für Medienkonsum, Essen, Rückzug.
Fast ein Drittel der Befragten empfand dieses Verhalten im Nachhinein als belastend:
Schuldgefühle
depressive Gedanken
das Gefühl, den Alltag zu „verlieren“
und ein wachsendes Gefühl der Isolation.
Die Studie spricht von einem Erschöpfungskreislauf, der sich immer wieder selbst nährt: Je weniger man sich bewegt, desto schwieriger wird Bewegung. Je länger man allein ist, desto fremder wirkt soziale Nähe.
Quelle: University of Michigan, Department of Psychology: “Digital Habits and Mental Fatigue in Emerging Adults”, 2023.
Ich finde: Das sind keine Zahlen. Das sind Geschichten. Und diese Geschichten brauchen Raum – ohne schnelle Lösung. Denn manchmal reicht kein gut gemeinter Ratschlag. Kein „Du musst nur rausgehen“. Kein „Jetzt reiß dich mal zusammen“. Was es vielleicht braucht, ist ein echtes Gespräch. Ein Ort, an dem jemand fragt:
„Magst du erzählen, warum dein Bett gerade der einzige Platz ist, an dem du sein kannst?“ Und dann: Still zuhören. Nicht deuten. Nicht therapieren. Nicht bewerten.
Nur da sein. Weil genau das oft der erste Schritt ist – zurück ins Leben.
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